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Personal/Hintergrund  

So war meine Zeit in Tokio

Spielanalyst Michael Fuchs schreibt über seine Reise zu den Paralympics

Michael Fuchs schildert im Bericht und mit Fotos seine Eindrücke aus Tokio

Michael Fuchs war als Video- und Spielanalyst mit dem deutschen TT-Team bei den Paralympics in Tokio. Der Sportwissenschaftler und Cheftrainer vom SV DJK Kolbermoor berichtet von großen Erfolgen, schmerzlichen Niederlagen, den Stimmungen vor Ort und über den Druck im Leistungssport:

Die Paralympics und die Olympischen Spiele sind für die Sportlerinnen und Sportler das größte Event überhaupt. Als ich 2019 im Trainerteam des DBS angefangen habe, war es schon ein Traum, mal bei den Paralympics dabei zu sein und mitzuhelfen, dass die Athleten dort Erfolge feiern. Dieser Traum ist jetzt in Erfüllung gegangen und für mich eine sehr wichtige Erfahrung gewesen. Ich muss aber auch sagen, dass diese Reise nicht immer easy und nicht immer schön war. Man geht aus solch einem Mammut-Turnier nicht nur mit positiven Gefühlen heraus. Neben den Erfolgen gibt es verlorene Finals, Enttäuschungen, die zu verarbeiten sind und letzten Endes ist der Stress vor Ort sehr hoch. Dazu später mehr …

Trotzdem haben wir als Team unsere sportlichen Ziele erfüllt, sogar übererfüllt würde ich sagen. In Rio hatten wir drei Athleten mehr am Start, aber eine Medaille weniger gewonnen. In Tokio waren es fünf Medaillen, das Gold durch Valentin Baus im Einzel überstrahlte alles. Silber gab es für Tom Schmidberger, Bronze für Stephanie Grebe jeweils im Einzel sowie Bronze (Thomas Rau/Björn Schnake) und Silber (Tom Schmidberger, Thomas Brüchle) im Team-Wettbewerb. Insgesamt wird das Abschneiden verbandsintern sehr positiv gesehen. Die eine oder andere Goldmedaille hätte es (wenn man die Spiele mitverfolgt hat) vielleicht sogar noch mehr sein können.

Bittere Niederlagen

Der gebürtige Niederbayer Tom Schmidberger hatte im Einzel- und Team-Wettbewerb die Möglichkeit, Gold zu holen. Für Tom ist es sehr bitter, es war seine große Chance, gegen seinen ewigen Kontrahenten Feng Panfeng aus China hatte er ein 0:2 aufgeholt und im fünften Satz mit 7:6 geführt. Noch bitterer war die Niederlage im Team-Wettbewerb, als Tom im entscheidenden Spiel gegen Zhai Xiang, gegen den er zuvor noch nie verloren hatte, eine 2:0-Führung nicht ins Ziel bringen konnte. Ich glaube, die Niederlage im Team tat ihm persönlich noch mehr weh. Mit etwas Abstand wird sich Tom hoffentlich aber auch über zweimal Silber freuen können. Für mich persönlich waren die beiden Final-Niederlagen wohl die bittersten bei den Paralympics.

Ich habe bereits angesprochen, dass solch ein bedeutendes Turnier aus verschiedenen Gründen sehr viel Stress verursacht. Zum einen hat man kaum Luft zu verschnaufen, die Tage sind sehr lang. Nach fünf Tagen Akklimatisierung, in denen wir meist in der Trainingshalle trainiert hatten, war ich beinahe täglich bis 22 Uhr in der Wettkampfhalle und am nächsten Morgen wieder ab 7, 8 Uhr. Wir haben drei Appartements im paralympischen Dorf bezogen, jeweils das männliche Betreuerteam, die weiblichen sowie männlichen Athleten zusammen. Ich habe ein Doppelzimmer mit Hannes Doesseler bewohnt. Die Appartements für die Athleten sind u.a. mit rollstuhlgerechten Badezimmern ausgestattet gewesen. Wenn man drei Wochen praktisch aufeinanderklebt, ist die Stimmung nicht nur positiv. Es gibt Enttäuschungen, die zu verarbeiten sind. Manche haben mit dem Jetlag oder Schlafstörungen zu kämpfen und sind dementsprechend erschöpft. Der eine geht mit dem Druck besser um als der andere etc.

Druck ist enorm

Überhaupt ist der Druck enorm. Das war für mich schon eine neue Erfahrung, etwas anderes als bei einer WM oder einem internationalen Turnier. Man spürt förmlich, wie viel an diesen Paralympics für die Athleten dranhängt. Es geht um Kaderzugehörigkeiten und letztlich um Förderungen, finanzieller, aber auch anderer Natur, z.B. medizinische Versorgung, Zutritt zu den Olympia-Stützpunkten usw. Als Athlet weißt du, dass du jetzt liefern musst. Und wenn es dann nicht so läuft, kann man sich vorstellen, wie die Stimmung ist.

Meine Hauptaufgabe in Tokio war es, frische Video-Analysen der deutschen Gegner vorzunehmen und diese entsprechend aufzubereiten und mit den Athleten zu besprechen. Die Arbeit gestaltete sich schwierig, weil ich aufgrund meiner Akkreditierung nicht von der gewünschten Position filmen konnte bzw. die guten Positionen generell einfach nicht zugänglich waren. Erlaubt war auch nicht das Aufstellen einer Kamera an der Box. Zwar durfte man sich das Streaming-Signal, von offizieller Seite ziehen, aber es wurden nur zwei der acht Tische live gestreamt. Das war für die Athleten eine große Enttäuschung. Man spielt vielleicht das Match seines Lebens und es gibt womöglich überhaupt keine Bilder davon…
Die deutschen Athleten bzw. Coaches wollten vor allem kurz vor ihren Spielen noch mal das Material ihrer Gegner sichten und den Matchplan besprechen. Während der Team-Wettbewerbe war dann speziell das gegnerische Doppel interessant, da es bei anderen Nationen teilweise ganz neue Doppelkombinationen gab. Im Optimalfall, falls das entsprechende Spiel erst am kommenden Tag war, hat man sich am Abend im Apartment zusammengesetzt und die Dinge besprochen. Viele dieser Besprechungen haben aber auch direkt in der Halle zwischen den Runden stattgefunden, da das teilweise die einzige zeitliche Möglichkeit war.

Gemischte Bewertung

In der Runde der letzten 16 habe ich aufgrund von vielen zeitgleichen deutschen Spielen selbst einmal an der Bande betreut, als Thomas Rau gegen den späteren Paralympicssieger aus den USA verlor. Dabei gab es etwas Trubel, als Raus kleinwüchsiger Gegner mitten im Match eine Schlägerverlängerung benutzen wollte, die er bei der Schlägerkontrolle nicht vorgezeigt hatte. Nach langer Diskussion mit dem Referee (und auch interner Diskussion in der Turnierleitung) durfte der Gegner zwar letztendlich nicht mit der Verlängerung spielen, aber die lange Unterbrechung hat wohl auch ihren Teil dazu beigesteuert und Thomas etwas aus dem Konzept gebracht. Thomas hat diesen Satz und damit dann auch das Spiel in vier engen Sätzen verloren. Das war auch einer der sehr bitteren Momente für mich, denn seine Auslosung war durchaus gut gewesen.

Alles in allem sind diese Paralympics für mich persönlich gemischt zu bewerten. Von der Organisation her waren sie wohl wie die Olympischen Spiele, leider auch ohne Zuschauer. Durch Corona waren die Bedingungen sehr speziell, wir haben als Team extrem aufgepasst und Kontakte auf das Minimum reduziert. Mit anderen Sportlern gab es kaum Austausch. An der Eröffnungsfeier, die einen Tag vor Beginn der TT-Wettbewerbe stattfand, haben unsere TT-Athleten nicht teilgenommen, um kein unnötiges Infektionsrisiko einzugehen. Jeden Tag mussten wir einen Spucktest machen, die Maske war obligatorisch. Im Prinzip gab es nur das Dorf, den Transport und die Halle. Der Transport war nicht immer optimal, wie das auch schon bei Olympia war. Manchmal gab es keine rollstuhlgerechten Busse. Die Organisation vor Ort, damit alles einigermaßen reibungslos funktioniert und das ständige unter-Strom-Stehen bei dem wichtigsten Turnier überhaupt gehen nicht spurlos an einem vorüber. Dennoch möchte ich diese wertvollen Erfahrungen nicht missen.

Michael Fuchs

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