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"Wenn wir jetzt nicht handeln, verschieben wir die Probleme"

Interview mit dem BTTV-Vizepräsidenten Jugend, Marcus Nikolei / Vorschläge zur Reform des Mannschaftsspielbetriebs auf dem Tisch

Marcus Nikolei, BTTV-Vizepräsident Jugend (Foto: Nils Rack)

Seit Jahren rückläufige Mannschaften im Nachwuchsbereich, massive Einbrüche bei den Mädchen-Teams, eine zwei Jahre andauernde Pandemie und nicht zu übersehende gesellschaftliche Entwicklungen: Der Tischtennis-Nachwuchssport hat einen dringenden Reformbedarf, um flächendeckend und sportlich-sinnvoll für die kommenden Jahre gewappnet zu sein. Wir haben mit dem BTTV-Vizepräsidenten Jugend, Marcus Nikolei, über die komplexe Thematik und mögliche bevorstehende Entscheidungen gesprochen.

Marcus, keine einfachen Zeiten für den Sport, für die Vereine und insbesondere auch für den Nachwuchs. Und sicherlich auch nicht für das Ehrenamt, das die Leitplanken setzen muss. Wo drückt überall der Schuh?
Marcus Nikolei:
Verstärkt durch Corona stellen wir massive Einbrüche im Nachwuchsbereich fest. Wir reden hier von 30 Prozent weniger Nachwuchsspielern. Beim männlichen Nachwuchs verzeichnen wir 18 Prozent Rückgang bei den Mannschaften. Beim weiblichen Nachwuchs reden wir noch von gerade mal 70 Mannschaften insgesamt und bayernweit! Und aufgrund der Pandemie kam zwei Jahre kein Nachwuchs nach. Nicht nur deshalb wird ein flächendeckender, geordneter und sportlich interessanter Mannschafts-Ligenspielbetrieb künftig kaum mehr möglich sein.

Das heißt konkret?
Nikolei:
Man müsste weitere Fahrten in Kauf nehmen und innerhalb der Ligen wird es zu noch deutlicheren Spielstärke-Unterschieden und weiterhin verstärkter Heterogenität führen. Da werden viele die Lust verlieren. Dabei sollte das Ziel sein, dass Nachwuchsspieler so häufig wie möglich einigermaßen leistungsstärkengerecht an Tischtennis-Wettkämpfen teilnehmen. Unterschiede wird es natürlich immer geben.

Was muss generell passieren?
Nikolei:
Wir sehen im Nachwuchsbereich einen großen Reformbedarf, aufgrund der rückläufigen Mannschafts-Entwicklungen, aber auch aufgrund gesellschaftlicher Trends. Früher haben wir in der Jugendmannschaft zu viert eine Saison durchgespielt. Mal war einer krank oder musste lernen und wurde dann durch einen fünften Spieler ersetzt. Heute sprechen wir bei einer Vierer-Mannschaft von vielleicht acht Spielern, die benötigt werden. Es ist wohl einfach nicht mehr diese Bindung da und die Bereitschaft, sich dauerhaft zu verpflichten. Die Interessen der Jugend sind vielschichtiger, das Angebot größer, die Wechsel-Frequenz zu anderen Freizeitoptionen höher. Hinzu kommen Themen wie schulische Belastung, Ganztag, eine Fokussierung auf Online-Medien etc. Wir können diese Entwicklungen nicht zurückdrehen, aber wir müssen angemessen darauf reagieren. Wenn wir nicht handeln, verschieben wir die Probleme nur auf die kommenden Jahre.

Was muss konkret beim Mannschafts-Spielbetrieb passieren?
Nikolei:
Die Vereine können sich ja keine Mannschaften backen. Generell ist es das Ziel, den Mannschafts-Ligenspielbetrieb flexibler zu gestalten, nicht mehr so starr, dass ich mit meinem Team von September bis April spiele und genau weiß, dass ich davon sechs Spiele mit 0:8 verliere. Wir müssen die Reformen so gestalten, dass der Wettbewerb wieder interessanter wird, aber unter einem angemessenen Aufwand stattfindet, Stichwort Fahrten.

Das Dilemma ist nicht neu: Beim Verbandshauptausschuss im Juli letzten Jahres hast du darauf hingewiesen und zur Debatte aufgerufen. Was ist seitdem passiert?
Nikolei:
Wir haben uns im Vorstand Jugend intensiv ausgetauscht und Gedanken gemacht, dazu die Anregungen aus den Bezirken gesammelt und analysiert. Beim Verbandsauschuss im November habe ich erste Pläne vorgestellt. Vor Weihnachten gab es eine große Sitzung mit den jeweiligen Experten, die Jugendwarte der Bezirke und Fachwarte Mannschaftssport, insgesamt 39 Teilnehmende. Dort haben wir ein erstes Meinungsbild eingeholt und im Nachgang von den Bezirken weitere Rückmeldungen erhalten. Mitte Januar gab es eine erneute Online-Sitzung, wo das Reformpaket und der mögliche Fahrplan konkretisiert wurden.

Welche Inhalte sieht dieses Reformpaket denn vor?
Nikolei:
Es sind mehrere Dinge. Zum einen müssen wir nach den Entscheidungen auf ITTF- und DTTB-Ebene der Altersklassen-Einführung Jugend 19 Rechnung tragen, was neben dem Individual- und Ligenspielbetrieb die Mannschaftsmeisterschaften angeht, wo es dann die Altersklassen Jugend 19, 15 und 13 geben wird. Ein genereller zentraler Punkt ist die Zusammenlegung von männlichem und weiblichen Spielbetrieb. In Zukunft soll es nur noch einen gemischten Ligenspielbetrieb geben, Achtung: Die Mannschaftsmeisterschaften auf BTTV- und DTTB-Ebene sind davon ausgenommen. Wir werden bei den Mannschaftsmeisterschaften Jugend 19, 15 und 13 nach Geschlechtern trennen, sodass dort die Mädchen unter sich spielen werden können.

Was passiert mit dem Ligensystem?
Nikolei:
Die Idee ist, von der klassischen Saison (September bis April) wegzugehen und auf Basis der Vereinsmeldung und der Ergebnisse der Vorrunde einen halbjährlichen Auf- und Abstieg zu ermöglichen. Die Gruppen hätten dann eine geringere Sollstärke.

Der halbjährliche Abstieg bedeutet im Detail was?
Nikolei:
Es wird möglich sein, eine Mannschaft z.B. für die neugeschaffene Landesliga zu melden. Wenn man letztlich feststellt, dass es nach der Vorrunde nicht reicht aus verschiedenen Gründen, ist eine Meldung nach dem Winter in der Bezirksoberliga möglich. Ebenso ist zum Winter ein Aufstieg in die Landesliga möglich. Wir wollen ein flexibleres System, das sich an die Voraussetzungen von Vereinen und Teams anpasst. Angedacht sind dann zwei Meldetermine, im Frühjahr und im Winter. Die, sozusagen, „Rückrunde“ wird dann etwas später beginnen und bis in den Mai gehen. Wir möchten für die Landes- und Verbandsligen auch die Verbandsbereiche aufheben. Anhaltspunkte für eine Ligeneinteilung sollen nicht Grenzen sondern Entfernungen sein, um die Fahrten so kurz wie möglich zu halten. Somit kann auch mal die Sollstärke je Gruppe unterschiedlich sein.

Auf die Spielleiter kommt dann ein Mehraufwand hinzu, oder?
Nikolei:
Durch die zwei einzelnen Halbrunden sicherlich etwas mehr. Es wird auch darauf zu achten sein, dass zum Beispiel Heim- und Auswärtsspiele annähernd gerecht verteilt sind.

Wer gewinnt dann letztlich den Titel, der „Winter“- oder „Frühjahrs“-Meister?
Nikolei:
Die Mannschaft, die in der „zweiten“ Spielrunde im Frühjahr in der jeweiligen Gruppe oben steht. Ohne Frage: Titel sind bedeutsam und haben ihre Berechtigung. Uns ist aber vor allem wichtig, dass so viele Kinder und Jugendliche wie möglich regelmäßig Tischtennis spielen und dies bestenfalls in einer Liga, die zu ihnen passt.

Welches Spielsystem wird sich in Zukunft durchsetzen?
Nikolei:
Der Antrag an den Verbandsausschuss wird lauten, als bayernweit einheitliches Spielsystem im Nachwuchsbereich das Braunschweiger System mit Sollstärke 3 einzuführen. Dieses System wird bereits zu zwei Dritteln eingesetzt und bietet viel Flexibilität. Das Braunschweiger System kommt dann fast überall zum Einsatz. Eine Ausnahme bildet das Final Four um die Bayerischen Mannschaftsmeisterschaften. Hier soll das Bundessystem zum Einsatz kommen, um eine Einheitlichkeit mit den darauffolgenden Deutschen Mannschaftsmeisterschaften auf DTTB-Ebene zu erreichen.

Dieses Reformpaket ist sehr umfangreich. Wie sieht die Zeitschiene für eine Umsetzung aus?
Nikolei:
Wir wollen das Reformpaket gerne zur kommenden Spielzeit 2022/2023 umsetzen. Daher haben wir die Anträge für den Verbandsausschuss (hier einsehbar) rechtzeitig gestellt.
Wir hoffen, dass sich eine demokratische Mehrheit beim Verbandsausschuss findet, nachdem ja auch die Bezirke hier aktiv mitarbeiten konnten.

Wir haben jetzt ausschließlich über den Mannschaftssport geredet. Wie sieht es mit dem Individualsport aus bzw. sind auch dort Änderungen geplant?
Nikolei:
Der Einzelsport steht in diesem Jahr ebenfalls auf dem Prüfstand. Wir werden uns eingehend mit dem bisherigen Turniersystem auseinandersetzen. Bundesweit und auch in Bayern werden vermehrt Junior-Race-Turniere Einzug halten. Es geht darum, dass die Mädchen und Jungen möglichst viele Möglichkeiten erhalten, Tischtennis zu spielen, ob in der Mannschaft, im Einzelsport oder in Kombination.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zu den Anträgen an den Verbandsausschuss

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