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Personal/Hintergrund  

Spannende Einblicke in die Tischtennis-Weltmacht China

Professor Hui Zhang zu Gast beim BTTV / Gesamter Vortrag im Video

Der BTTV hatte am Dienstagabend zu dem Vortrag des chinesischen Tischtennis-Experten Hui Zhang geladen – und viele kamen. So viele, dass kurzerhand im „Haus des Sports“ in München von einem Konferenzraum in den großen Sitzungssaal des Bayerischen Landessportbunds (BLSV) umgezogen werden musste. Gut 60 Personen, Trainer, Spieler, Interessierte waren der Einladung gefolgt, um von einem echten Insider mehr über die Tischtennis-Weltmacht China zu erfahren. Unter den Besuchern waren unter anderem Dr. Martin Lames, Leiter des Lehrstuhls für Trainingswissenschaft an der TU München, und auch der amtierende Bayerische Meister Nico Christ, selbst Physiker von Beruf und Mitarbeiter beim Belaghersteller ESN.

Lames hatte dem BTTV den Kontakt zum Gastredner vermittelt, 2004 war der renommierte Sportwissenschaftler Zweitkorrektor der Doktorarbeit von Hui Zhang über mathematische Simulation im Tischtennis gewesen. „Nach seiner Promotion in Potsdam hat Hui Zhang als Trainer in China gearbeitet, ehe er Spielanalyst der Nationalmannschaften wurde. Das war ein über Jahre geplanter Prozess“, berichtete Lames, der an seinem Lehrstuhl unter anderem für Sportspielforschung zuständig ist.

In dem einstündigen Vortrag mit dem Titel "Spitzentischtennis in China - Talentselektion, Training, wissenschaftliche Unterstützung"und der folgenden halbstündigen Fragerunde nahm Hui Zhang die Gäste mit auf die Reise in das Innere der chinesischen Strukturen sowie der Trainings- und Spielphilosophie. Als Professor für Sportwissenschaft am „Chinese Table Tennis College“ an der Sporthochschule Shanghai war Hui Zhang seinerzeit für die Matchanalyse und Wettkampfvorbereitung der chinesischen Nationalmannschaften zuständig gewesen, unter anderem für die Olympischen Spiele 2012 in London und Peking 2008. In beiden Fällen gewann China alle Goldmedaillen.

Strukturen, Wissenschaft und Analyse im Fokus

Zunächst stellte Hui Zhang die Struktur der chinesischen Nationalmannschaft heraus, zu der mit den Jungen und Mädchen insgesamt gut 90 Spieler und 20 Trainer gehören. Stets 25 Nationalspieler werden in fünf Gruppen eingeteilt, unter den Gruppen herrscht eine Konkurrenz und die Spieler können gegen alle denkbaren Spielsysteme trainieren. Insgesamt sei ein großer Vorteil Chinas, dass die Spieler mehr Zeit zum Technik- und Taktik-Training aufwenden können. Hui Zhang verwies auf die Chinese Super League, die in drei Monaten durchgespielt werde. Somit bliebe deutlich mehr Zeit für intensives Technik- und Taktiktraining.

Exemplarisch stellte der Professor die Jahrestrainingszeiten der Top-3-Chinesen vor den Olympischen Spielen 2008 in Peking vor. Neben den klassischen Trainingseinheiten finden oft auch Meetings und technische Diskussionen statt. Zwischen den Männern und Frauen macht China derweil kaum Unterschiede. Im Reich der Mitte kommt auch ein gemeinsames Training vor, was hierzulande im Topsport-Bereich  kaum denkbar erscheint. Der Unterschied im Training liege in der Intensität. „Die Männer trainieren intensiver, aber nicht zu lange. Die Frauen trainieren länger, aber nicht ganz so intensiv“, erklärte Hui Zhang.

Fitness nimmt stärkere Rolle ein

Vormittags und nachmittags zweieinhalb Stunden Training seien für Topspieler in China usus, hinzu kommt noch eine einstündige Fitness-Einheit. In der Wettkampfvorbereitung werde das Training etwas umgestellt, dann dreimal am Tag Tischtennis, aber relativ kurz nur ca. eine, anderthalb Stunde vormittags, nachmittags und abends. Kinder würden in China nach der Schule zwei bis drei Stunden trainieren.

Im Athletik-Bereich habe sich gerade in den vergangenen Jahren auch durch die Einführung des Plastikballs vieles getan. "Für London 2012 hat China zwei Fitnesstrainer aus den USA eingestellt, es geht hauptsächlich um Core-Training und die Beine sowie Ausdauer und Kraft", berichtete Hui. Ein ganz zentrales Thema sei für ihn die Einbindung des Wettkampfes in das Training. So beginne eine Übung fast immer mit Aufschlag-Rückschlag. Mindestens 40 Minuten im Training werde für Wettkampf und Praxis mit Auf- und Rückschlag aufgewendet. "Damit die Kinder auch verstehen, warum und wie man eine Taktik spielt."

Welche dominante Rolle China einnimmt, machte Hui Zhang an einem Schaubild deutlich, dass die Wettkampfergebnisse von Ma Lin, Wang Liqin und Wang Hao zeigte. Während zum Beispiel Ma Lin gegen ausländische Spieler 2008 nur eine Niederlage einstecken musste, verlor er im nationalen Bereich (Super League, Chinesische Meisterschaften) zehnmal. Dies zeigt die ganze Stärke der Tischtennis-Macht China. Wer sich national behauptet, ist international ganz vorne. 

Talentsichtung anhand von mehreren Faktoren

Im zweiten Teil seines Vortrags ging Hui Zhang  auf die Talentsichtung ein und führte am Beispiel von Wettkampfvideos chinesischer Nachwuchsspieler vier Komponenten auf, die entscheidend seien:  Ballgefühl/Technikanpassung, taktisches Verständnis, Explosivität/Schnellkraft und die eigene Psyche. „Kinder sollten eher ruhig und nicht zu ungeduldig sein, um ihre Taktik durchzuspielen.“

Die technische und taktische Analyse war der dritte Teil seines Vortrags. Darin beschrieb Hui Zhang unter anderen die sogenannte „technische Statusüberwachung“, bei der die Technik der Spitzenspieler laufend überprüft und analysiert werde. Dies machte er deutlich an den Assen Ding Ning, Liu Shiwen oder Chen Meng.

Dass China akribisch seine Gegner begutachtet, war bereits bekannt. Doch wie genau dies geschieht, das konnten bislang nur die wenigsten sehen. Hui Zhang gab einen Einblick in die Detail-Analyse eines Matches von Dimitrij Ovtcharov gegen Ma Long, wo das Spiel des Weltranglistenersten seziert und auf Stärken und Schwächen beleuchtet wurde. Auch das Doppel Timo Boll/Christian Süß, Vizeweltmeister von 2005 und eines der besten Duos seiner Zeit, wurde genauestens studiert. Die Match-Analysen unterfütterte der Professor stets mit Spielszenen.

Im Anschluss an seinen Vortrag beantwortete Hui Zhang noch geduldig eine Reihe von Fragen. In dem Video (oben) ist die Fragerunde ca. ab Minute 55 zu sehen.

Zum Video des Vortrags auf dem BTTV-Youtube-Kanal

Knapp 60 Besucher waren zu dem Vortrag erschienen (alle Fotos: F. Leidheiser)
Hui Zhang referierte eine Stunde und beantwortete noch Fragen
Hui Zhang während seines Vortrags
Professor Dr. Martin Lames von der TU München
Hui Zhang und Martin Lames
Prof. Lames im Gespräch mit BTTV-Verbandstrainerin Krisztina Toth
Michael Fuchs, Doktorand an der TU München und Abteilungsleiter des SV DJK Kolbermoor, mit Hui Zhang
Schaubild von Hui's Präsentation
Weiteres Schaubild

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