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Personal/Hintergrund   TT-Zentrum München  

Nico Longhino: Ich habe einen Traum

In der Corona-Zeit hat sich das LZ-München-Mitglied nach oben gearbeitet / Mehr als 100 TTR-Punkte seit September

Mit 2222 TTR-Punkten aktuell die Nummer 69 in der deutschen Rangliste: Nico Longhino (Foto: F. Leidheiser)

Nico Longhino macht die Augen zu, atmet tief durch, ruft innerlich laut "Stopp" und nimmt gleichzeitig den linken Fuß zur Seite. Dann geht er zurück an den Tisch, flippt den Aufschlag von Gaston Alto auf die weiße Linie und jubelt. 11:9 im Entscheidungssatz. Es war der bedeutenste Sieg des 17-Jährigen in dieser für ihn bemerkenswerten Saison. Gegen den aktuellen Weltranglisten-99. Alto vom Süd-Regionalligisten TSV Windsbach gewinnt in dieser Liga kaum jemand. Nico Longhino, der für den FC Bayern antritt, ist es gelungen. Dabei half ihm auch der oben beschriebene mentale Kniff bei 10:9. "Ich hatte schon 10:7 geführt, dann ist er auf 10:9 rangkommen. Den Trick hat mir Martin Lodner (Mentalcoach, Abteilungsleiter TV Dillingen) mal gezeigt. Seitdem wende ich ihn an, wenn es zum Beispiel nach einer 7:2-Führung nur noch 7:6 steht. Früher wäre ich total nervös geworden. Mit dem Trick schaffe ich es, mich gedanklich von Druck und Nervosität freizumachen", erklärt Longhino. Vor Monaten hätte er solche Spiele wohl noch verloren. "Dass ich gegen Gaston gewonnen habe, konnte ich auch erst Stunden später kapieren. Ich habe mich jedenfalls tierisch gefreut, vor allem für meine Eltern, die zugeschaut haben." Vor dem Spiel habe er sich gegen den argentinischen Top-100-Spieler nicht viele Chancen ausgerechnet. "Mittendrin habe ich dann gemerkt, da geht was, und dann wollte ich unbedingt gewinnen, war vom Kopf her voll da", sagt Longhino.

Nico Longhino ist reifer geworden, hat seine Emotionen besser im Griff

Der Sieg über Alto war fraglos sein bisheriger Saison-Höhepunkt, bemerkenswert ist allerdings die Konstanz des 17-Jährigen. In der Regionalliga-Süd weist Longhino eine 11:3-Bilanz im oberen Paarkreuz auf, in der 3. Bundesliga steht er 4:2 im zweiten Paarkreuz. Seit September hat er über 100 TTR-Punkte hinzugewohnen, steht mit aktuell 2222 Punkten mittlerweile auf Rang 9 in der bayerischen und aktuell auf Platz 69 in der deutschen Rangliste - noch vor seinen Clubkollegen Daniel Rinderer und Tom Schweiger.

"Ich lag früher oft nachts wach und habe mir Gedanken gemacht, woran es liegt"

 "Ich lag früher oft nachts wach und habe mir Gedanken gemacht, woran es liegt, dass ich nicht immer meine Leistung abrufe, obwohl ich viel trainiere. Und ob es vielleicht besser ist alles hinzuschmeißen. Dann habe ich mir gedacht, du hast einen Traum, und irgendwann wird sich das viele Training auszahlen."

Sein Traum ist es, mal in der 2. Bundesliga zu spielen und vielleicht sogar mal den Sprung in den Anschlusskader des DTTB zu schaffen, was sicherlich ein sehr hoch gestecktes Ziel ist. Doch Longhino wurde schon häufiger unterschätzt, alleine diese Entwicklung bis heute hätten ihm nicht viele zugetraut. Er war schon immer fleißig, aber er war auch ein Heißsporn, wollte oft zuviel. Longhino hat sich in den vergangenen Jahren nicht nur technisch und spielerisch weiterentwickelt sondern ist auch im Kopf reifer geworden. Der bayerische Meister im Herren-Doppel von 2019 hat - auch seit er vor zwei Jahren ins Leistungszentrum nach München wechselte - gelernt, seine Emotionen besser zu steuern. "Früher bin ich gleich emotional geworden, heute schaue ich mir die Dinge erstmal in Ruhe an und entscheide dann. Das hilft mir auch beim Tischtennis, ich bin nicht mehr ganz so wild und ungestüm."

 "Ich bin reifer geworden"

Mittlerweile erntet er den Lohn für seine jahrelangen Mühen. Dem Internatsschüler habe sein Wechsel ins LZ nach München gutgetan, spielerisch und von der persönlichen Entwicklung. "Durch den Wechsel ins LZ und von Zuhause weg zu sein, bin ich noch mal reifer geworden", sagt Longhino. Hinzu kommt das Training unter Hochleistungsbedingungen in einer starken Gruppe. "Ich muss mich auch bei den Trainern bedanken, vor allem bei Kriszti und Manu. Sie versuchen, immer individuell auf jeden einzelnen einzugehen, auch wenn wir mittlerweile viel mehr Spieler im LZ sind." Auch bei privaten Problemen habe er sich beim Trainerteam schon einen Rat geholt. "Kriszti ist manchmal wie eine zweite Mutter für mich. Ich bin allen sehr dankbar."

Die erzwungene Corona-Pause ist für Nico Longhino ein wenig Fluch und Segen zugleich. "Einerseits hätte ich schon gerne weitergespielt, weil es so gut lief, andererseits habe ich durch die vielen Spiele in relativ kurzer Zeit auch eine gewisse Müdigkeit gespürt." Die Spielpause nutzt er weiter, sein Spiel zu verbessern. Die Gefährlichkeit der Aufschläge sind ein Thema, die Vorhand-Technik und auch, dass er manchmal in alte Muster fällt, wenn er sich im Wettkampf zu weit vom Tisch wegbewegt. Sein größtes Potenzial sieht er selber aber im mentalen Bereich. Was die Konzentration angeht, habe er sich schon verbessert. "Früher habe ich auch im Training viel mehr Quatsch gemacht, heute bin ich viel fokussierter. In Zukunft möchte ich noch konzentrierter sein, was mein eigenes Spielsystem angeht", sagt Longhino. Im Wettkampf helfen ihm Atemübungen, um bei sich und seiner Konzentration zu bleiben. "Das hört sich banal an, aber das tiefe Durchatmen hilft mir."

Vielseitiger Athlet

Ein Pluspunkt des von Nico Longhino ist seine Athletik: Der Bad Aiblinger gilt im LZ-München er als einer der fittesten und vielseitigsten Sportler. Egal ob Ballsportart, Koordination, Kraft oder Schnelligkeit, Longhino hat für vieles ein Talent. "Mein Vater hat mich früher immer zu Sport motiviert. Ich mache vieles sehr gerne." Früher war es neben Tischtennis das Skifahren und Fußballspielen, heute ist es Beachvolleyball, Football mit Freunden oder Skateboarden/Fahrradfahren.

Im kommenden Jahr macht er sein Fach-Abi und absolviert dann möglicherweise beim BTTV den Bundesfreiwilligendienst. Im Anschluss will Longhino schauen, wo er im Tischtennis steht und dann weiter entscheiden. Eine Offizierslaufbahn und eine Pilotenausbildung bei der Bundeswehr könnten in mittlerer Zukunft sein Weg sein. Bis dahin will er sich voll auf Schule und Tischtennis konzentrieren - und schauen, wie weit es gehen kann.

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