Zum Inhalt springen

Mannschaftssport Erwachsene  

Das Wunder von Düsseldorf

TTBL-Neuling Bad Königshofen bezwingt deutschen Rekordmeister

Man of the Match: Darko Jorgic. Archivbild: Rudi Dümpert

Einen Ehrensatz oder vielleicht sogar einen Ehrenpunkt wollte der TSV Bad Königshofen bei Rekordmeister Borussia Düsseldorf ergattern. Es kam ganz anders.Im ARAG-Center, dem Spiellokal des 29-fachen deutschen Meisters und vierfachen Champions-League-Siegers Borussia Düsseldorf, gab es am Sonntag eine Tischtennis-Sensation. Nicht die erfolgsverwöhnten Rheinländer jubelten nach drei Stunden und vier Minuten Spielzeit, sondern Aufsteiger TSV Bad Königshofen, der mit 3:2 gewann. „Ich muss mich erst mal wieder runterkühlen. Das war Stress pur, mein Kopf glüht“, sagte TSV-Manager Andy Albert nach diesem ungeahnten Triumph.

 

Ort ordnet die Tragweite ein

Den Kilian Ort für all diejenigen in seiner Tragweite einordnete, die sich im Tischtennissport nicht ganz so gut auskennen: „Wenn Bad Königshofen in Düsseldorf gewinnt, dann ist das so, wie wenn im Fußball ein Aufsteiger, der noch nie in der Bundesliga war, bei Bayern München gewinnt. Dann muss alles gepasst haben. Da muss zusammen kommen, dass wir gut spielen und die nicht. Es hätte aber nicht über drei Stunden dauern müssen, es hätte auch schon nach anderthalb Stunden aus sein können.“

Als eine Stunde und insgesamt sieben Sätze gespielt waren, führte der Bundesliga-Neuling und Tabellenvorletzte TSV Bad Königshofen mit 2:0. Doch wer erinnerte sich da nicht an das Auswärtsspiel vor drei Wochen in Bergneustadt, als es ebenfalls 2:0 für die Rhön-Grabfelder stand und nach einem höchst dramatischen Finale 2:3. „Natürlich hatten wir draußen alle dieses Trauma von Bergneustadt im Hinterkopf. Die Spieler drinnen an der Platte, denke ich, aber nicht“, sagte Albert. Beide Vereine hatten diesmal auf ihr Aushängeschild verzichtet.

 

Timo Boll pausiert

Bei den Rheinländern durfte Timo Boll pausieren, weil man über weitere drei Weltklasse-Spieler verfügt, die diesen Neuling doch in Schach zu halten fähig sein sollten. Und beim TSV gönnte man Kilian Ort eine schöpferische Pause, da er nach vier Wochen ohne Training wegen eines Bundeswehrlehrgangs sportlich von der Rolle ist. Ihn vertrat Ersatzmann Filip Zeljko, der diese Saison nur in der Bayernliga-Nord-Mannschaft fleißig Punkte gesammelt hatte. „Ich muss mich erst mal wieder runterkühlen. Das war Stress pur, mein Kopf glüht“

In den Ring stieg als Erster der TSV-Zweier Darko Jorgic gegen die Nummer 27 der Weltrangliste, den schwedischen Linkshänder Kristian Karlsson. Nach zehn Minuten hatte die kleine Bad Königshöfer Fan-Kolonie – knapp 15 waren mitgekommen – ersten Grund zum Jubeln: Mit 11:9 war der vorher angepeilte Ehrensatz des Tages schon mal gelungen. Es folgten aber mit 11:9 und 11:6 die nächsten und der vermeintliche Ehrenpunkt – 1:0 für den TSV. Dieser Jorgic zog seinen Matchplan konsequent durch, bereitete seine Angriffe sorgfältig vor und war immer darauf bedacht, als Erster die Initiative zur Angriffseröffnung zu ergreifen. Er war der Aktivere, immer näher am Tisch als sein Gegner, minimierte seine Fehlerquote und hatte vor allem seine Nerven bis zum letzten Punkt unter Kontrolle.

Oikawa stellt auf 2:0

Dann schwebte Mizuki Oikawa auf seiner Form vom Vorsonntag auch gegen den österreichischen Meister Stefan Fegerl, die Nummer 36 der Weltrangliste, weiter zu einem siegreichen Flow. Ständiges Nachlaufen und erste Führung zum 10:9 und 11:9 für den kleinen Japaner. Den durch 34 Zentimeter Größenunterschied bedingten Reichweitenachteil glich er durch wieselflinke Laufarbeit und Wahnsinnsreflexe aus. Ein gutes Auge, sicheres Gefühl, feine Technik, klasse Beinarbeit und wie er das Spiel des Gegners lesen konnte, halfen ihm, unterstützt von Trainer Koji Itagakis taktischen Anweisungen, zum 2:0-Satzvorsprung. Als der dritte Satz, der erste Satzgewinn für die Düsseldorfer nach 40 Minuten, weg war, bat der Hallensprecher das Publikum um Mithilfe. Doch Oikawa kam wieder zurück, gewann den vierten und das Spiel zur 2:0-Führung für Bad Königshofen.

Zeljko fehlen zwei Punkte

Eine weitere, wegen zehn Sekunden aber unvollendete Sensation, gab es dann im dritten Match. Der Ersatzmann Filip Zeljko, in der Weltrangliste nach ganz hinten durchgereicht, hatte einen Riesenauftritt. Ihm hatte man am allerwenigsten zugetraut gegen den Weltranglisten-74. Anton Källberg, den schwedischen Einzelmeister. Zeljko wehrte im ersten Satz zwar zwei Satzbälle ab, verlor aber 10:12, war im zweiten nahezu chancenlos, 4:11. Doch was muss Itagaki diesem 20-Jährigen beim Seitenwechsel geflüstert haben? Der kämpfte sich frei, auch im Kopf, schmetterte nach Herzenslust und spielte sich in einen Rausch, wie zu besten Zweitligazeiten. Er gewann den dritten Durchgang 11:5, den vierten sogar 11:4, und stand vor der Tür zu seinem persönlichen Tischtennishimmel, musste bei 9:9 im fünften Satz nur noch hindurch gehen. Noch zehn Sekunden, 3:0, und Bad Königshofen wäre in Tischtennis-Deutschland in aller Munde gewesen. Es sollte nicht sein. Trotzdem gab es Lob von Kilian Ort. „Er hat einfach super gespielt. Darko und Mizuki natürlich auch. Obwohl ich zum ersten Mal in meinem Leben nicht in einer Mannschaft spielte, ohne verletzt zu sein, fühle ich mich genau so als Teil dieser Mannschaft“, sagte Kilian Ort vor seiner Rückkehr zum Feldwebellehrgang in Hannover, der ihn sportlich aus dem Tritt gebracht hat.

Jorgic macht die Sensation perfekt

Gleiches Prozedere also wie vor drei Wochen in Bergneustadt? Nach dem vierten Spiel sah es schon mal danach aus. Im Einser-Duell hatte Karlsson Oikawa im Griff, der Bad Königshöfer nur im zweiten Satz eine reelle Chance – 2:2, wie in Bergneustadt. Also doch wieder die ganze Last auf den Schultern des sportlich frühreifen Jungen (19) aus Slowenien, der Nummer 119 der Weltrangliste. Doch diesmal hielten die Nerven von Darko Jorgic. Schon im ersten Satz jagte er den Österreicher Fegerl mit seiner Rückhand, die die Bälle sicher wie ein Roboter verteilte, von einer Ecke in die andere – 11:9. Der zweite Satz war gefühlt ein verschenkter. Jorgic drehte ein 2:7 zum 10:9-Satzball und verlor doch noch 10:12. Im dritten knallte er nach zwei vergebenen Satzbällen rotzfrech einen Rückhand-Return zum 11:10, der selbst beim 12:10 noch Nachwirkung zeigte. Und im vierten Satz hatte er bei 10:2 Fegerl fast schon von der Platte gefegt und machte mit 11:5 die Sensation perfekt.

 

Aktuelle Beiträge