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Einzelsport Jugend  

Naomi Pranjkovic und die dunkle Materie

Nachwuchsathletin wird in der aktuellen Ausgabe von "Tischtennis" ausführlich vorgestellt

Wohin führt der Weg von Naomi Pranjkovic? Foto: ETTU

In der aktuellen August-Ausgabe des Tischtennis-Magazins erschien ein Artikel über Naomi Pranjkovic.

Die Musterschülerin

Viele Nachwuchsathleten scheitern am Spagat zwischen Leistungssport und Schule. Naomi Pranjkovic ist ein Gegenbeispiel. Die Mädchen-Nationalspielerin hat gerade ihr Abitur mit Auszeichnung bestanden. Wie hat sie das gemacht?

Gelöst. Glücklich. Vor Energie strotzend. So wirkt Naomi Pranjkovic dieser Tage, wenn man mit ihr spricht. Für die positiven Vibes, die die 17-Jährige aussendet, gibt es viele Gründe. Das Abitur mit dem Fabelschnitt von 1,0 könnte man anführen. Und eine erfolgreiche Jugend-EM im Juli in Belgrad, bei der die amtierende Deutsche Meisterin Mädchen 19 mit dem DTTB-Team Bronze holte und im Einzel unter die besten Acht vorstieß. Noch wahrscheinlicher für die Stimmungslage dürfte aber der bevorstehende Urlaub sein: ein paar Tage Berlin, dann eine Woche in Kroatien an der Adria. Ganz ohne Tischtennis. „Ich glaube, das hatte ich seit fünf Jahren nicht mehr“, sagt Pranjkovic. Der erste wirkliche Urlaub seit fünf Jahren.

Das zeigt beispielhaft, welche Entbehrungen Nachwuchsathletinnen und -athleten bringen müssen, um national oder gar international bestehen zu können. Die Schule meistern trotz dutzender Fehlstunden. Den Stoff auf Reisen nachholen, obwohl niemand da ist, der es einem erklären kann. Den Druck zu verspüren, am Montag eine wichtige Klausur zu schreiben, obwohl man erst spätnachts von einem Turnier nach Hause kommt. Ein Beispiel aus dem Leben der Naomi Pranjkovic: Nach dem Einzel- und Doppel-Titel bei den Deutschen Meisterschaften Jugend 19 Ende April schrieb Pranjkovic ihre Deutsch-Abiprüfung. All das ist für junge Leistungssportler Alltag. Nicht eingepreist sind Diskussionen mit Schule und Lehrkräften über Fehlzeiten und verlorene Freiheiten, etwa spontan Freunde zu treffen, anderen Hobbys nachzugehen oder in den Ferien mit der Familie zu verreisen. Der Preis ist hoch – gerade für junge Frauen, deren Verdienstaussichten im Tischtennis deutlich unter denen der Männer liegen. Und ob man es nach ganz oben schafft, ist ohnehin kaum vorhersehbar.

Naomi Pranjkovic wird es als Profi versuchen. Ein Jahr wird sie sich voll auf Tischtennis konzentrieren. Sie wird zuhause wohnen bleiben. Sie wird abwechselnd trainieren in Kolbermoor, im Leistungszentrum in München, im TT-Center des ehemaligen bayerischen Landestrainers Thomas Wetzel in Bad Aibling und bei den DTTB-Maßnahmen. „Vielleicht werde ich ja mal zu einem Damen-Lehrgang eingeladen“, sagt sie.

Nach dem einen Profi-Jahr wird sie die Situation neu bewerten. Das DTTZ in Düsseldorf könnte ein Thema werden oder ein Physikstudium. In Physik hat Pranjkovic unter anderem ihr Abitur abgelegt und – wie in den anderen Fächern – brilliert. Ihre Leidenschaft für Naturwissenschaften sei erst später gekommen, erzählt sie. „Ich war immer gut in Mathematik, aber Physik hat mich vorher nicht sonderlich interessiert.“ Bis zu dem Tag, an dem sie ein Referat über dunkle Materie und dunkle Energie vorbereiten sollte. Die Unendlichkeit und die Entstehung des Universums hätten sie so in den Bann gezogen, dass sie alles darüber wissen wollte. Auch das breite Wissen ihres Lehrers habe sie fasziniert. „Früher wollte ich anderen immer etwas beibringen. Als Lehrerin möchte ich zwar nicht arbeiten, aber an einer Uni Forschung zu betreiben und Vorlesungen zu halten, kann ich mir gut vorstellen.“

Das ist Zukunftsmusik. Mit dem 1,0er-Abi stehen Pranjkovic alle Türen offen. Der Schulabschluss mit Prädikat war kein Selbstläufer, „auch wenn mir die Schule schon immer leichtfiel. Wenn man zum Beispiel in Mathe gewisse Prinzipien verstanden hat, dann tut man sich leichter.“ Bei Themen, die sie interessierten, ging es ihr leicht von der Hand, „den Rest habe ich einfach auswendig gelernt“, erklärt Pranjkovic. Das Nacharbeiten von verpasstem Schulstoff ohne Lehrer sei eine Hürde gewesen. Aber die 17-Jährige ist gut darin, sich Dinge selbst beizubringen. „Vielleicht hilft mir da die Übung aus den letzten Jahren.“

Über die Tischtennis-Spielerin Naomi Pranjkovic hat die bayerische Verbandstrainerin Krisztina Toth mal gesagt: „Sie arbeitet hart, ist sehr fleißig, aber nicht blind-fleißig. Sie weiß, was sie üben muss.“ Vermutlich trifft das auch aufs Lernen zu. Aber um eine 1,0 zu schaffen, ist Fleiß Voraussetzung – das war bei Pranjkovic nicht anders. Wenn sich die Kolleginnen bei einem Lehrgang zwischen zwei Einheiten auf dem Zimmer ausruhten, lernte sie. Und auch, wenn auf Reisen im Flieger alle die Augen zumachten. Jedes Jahr im November, Dezember geriet sie an ihre Grenzen, dann überschnitten sich Klausurphasen und wichtige Wettkämpfe. Die Playoff-Spiele mit dem SV DJK Kolbermoor, wo Pranjkovic nun eine feste Größe im Bundesliga-Team ist, kamen auch dazwischen.

Der Stress ist vorerst vorbei und „ich finde es toll, dass ich mich jetzt mal mit Freunden treffen kann. Vorher haben die gefragt, ob ich in anderthalb Monaten mal Zeit habe.“ Neben Tischtennis wird sie in der neuen Freizeit aber weiterhin ihren Kopf anstrengen – sich mit Physik beschäftigen, Kroatisch lernen, ihre Fremdsprachenkenntnisse verbessern.

Die vorhandorientierte Spielerin ist mit Tischtennis aufgewachsen: Mutter Sylvia (geborene Specht) war Europapokalsiegerin mit dem TTC Langweid, Vater Boris WM-Teilnehmer 1993. Bis heute sind die Eltern ihre größten Förderer. Im Alter von viereinhalb stand Pranjkovic erstmals am Tisch, probierte sich aber auch in anderen Hobbys aus: Ballett, Surfen, Skifahren, Klavier. Bei ihrer vierten Jugend-EM in Folge kehrte Pranjkovic erstmals mit einem zufriedenen Gefühl zurück, obwohl sie 2019 schon zwei Medaillen gewann. „Vorher habe ich oft gedacht, ich hätte besser spielen können. Diesmal habe ich mir auch aufgrund des Abis nicht so viel Stress gemacht. Ich wollte das Turnier genießen und am Ende sagen können: Es war eine schöne EM.“ Dieses Ziel hat sie erreicht. Die Ergebnisse in Belgrad können sich sehen lassen. Auch im Doppel hätte sie mit Sophia Klee, die sich während der EM verletzte, Chancen auf eine Medaille gehabt, dazu kamen Team-Bronze und das Einzel-Viertelfinale. „Ich habe phasenweise echt gut gespielt. Ab und zu hat man gemerkt, dass mir die Stabilität fehlt“, so Pranjkovic.

Nach dem Urlaub wird sie wieder Fahrt aufnehmen. „Ich bin gespannt, was unter den Bedingungen möglich ist“, sagt sie. Sie möchte sich für die Jugend-WM im Dezember in Tunis qualifizieren. Ein Ziel, das weniger abstrakt sein dürfte als dunkle Materie. 

Mit offenen Haaren präsentierte sich Naomi zuletzt auf einem Urlaubsfoto in den Sozialen Medien. Foto: Instagram

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